22. Dezember 2014
Schwarzbuch Börse 2014: Anlegerschutz wird ausgehöhlt
Das Schwarzbuch Börse 2014 ist erschienen und kann bei der SdK bestellt oder heruntergeladen werden. Neben negativen Einzelfällen greift es unter anderem die folgenden Themen auf:
• Wie das vereinfachte Delisting Anleger benachteiligt
• Bei Mittelstandsanleihen können die Insolvenzen der emittierenden Unternehmen einen Totalverlust für die Anleihegläubiger bedeuten
• Milliardenstrafen für Banken
• Chinesische Listings: eine Serie von Misserfolgen
• PROKON und andere spektakuläre Einzelfälle
Das Schwarzbuch Börse 2014 der SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e. V. (SdK) befasst sich mit den Skandalen, Missständen und Pleiten rund um das Börsengeschehen im Jahr 2014. Es benennt negative Einzelfälle und kommentiert die Gesamtentwicklungen am Kapitalmarkt und ihre Auswirkungen auf die Kapitalanlage der Anleger. Die wichtigsten Trends und Problemfelder werden an dieser Stelle zusammenfassend erläutert.
Das Börsenjahr 2014: große Schwankungen im Zeichen stagnierender Konjunktur
Eine anziehende US-Konjunktur, weiterhin stagnierende Volkswirtschaften in der Eurozone und neue geopolitische Krisenherde bildeten den Rahmen für die Finanzmärkte im Jahr 2014. Mehr noch als im Vorjahr prägten große Kursschwankungen das Bild an den Börsen. Nach der ersten Korrektur im Frühjahr, die durch das Aufflammen der Ukrainekrise ausgelöst wurde, überwand der DAX im Sommer erstmals die 10.000er-Marke, ehe er im Oktober um fast 15 % korrigierte. Positive Konjunktursignale aus den USA sowie die Aussicht auf eine Fortsetzung der Niedrigzinspolitik durch die Europäische Zentralbank nähren zum Jahresende hin wieder die Hoffnung auf die Fortsetzung einer mittelfristigen Aufwärtsbewegung an den Märkten.
In diesem Umfeld bleiben Aktien, Fonds und solide Unternehmensanleihen erste Wahl bei der Suche nach renditeträchtigen Anlagen. Es ist zu hoffen, dass eine wachsende Zahl von Anlegern in Zukunft verstärkt auf diese Anlageklassen setzt. Umso wichtiger und herausfordernder wird die Aufgabe für die SdK, die Rechte von Anlegern wahrzunehmen und auf negative Trends und Beispiele in der Anlegerpolitik von Unternehmen und Verbänden hinzuweisen.
Vereinfachte Delistings auf Kosten der Anleger
Die SdK hatte bereits im Schwarzbuch Börse 2013 auf den negativen Einfluss hingewiesen, den ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVG) vom 11.7.2012 (1 BvR 3142/07 sowie 1569/08) auf die Rechte von Aktionären im Hinblick auf den Segmentwechsel von Unternehmen in den Freiverkehr sowie im Hinblick auf das komplette Delisting haben werde. Das BVG hatte damals festgestellt, dass die Börsennotiz einer Aktie nicht dem Eigentumsschutz gemäß Artikel 14 des Grundgesetzes unterliegt. Auf dieses Urteil hatte sich der Bundesgerichtshof bezogen, als er im Oktober 2013 in einem Beschluss die eigene, so genannte Macrotron-Rechtsprechung vom 25.11.2002 aufhob.
Auf Grundlage dieser früheren Rechtsprechung war der Rückzug einer börsennotierten Gesellschaft aus dem amtlichen Handel und dem Regulierten Markt in Form eines regulären Delistings an eine Zustimmung durch die Hauptversammlung und die Abgabe eines Barabfindungsangebots an die Aktionäre gekoppelt. Die neue Rechtsprechung erleichtert nicht nur Unternehmen den Wechsel in den Freiverkehr mit seinen geringeren Transparenzanforderungen, sondern auch das Delisting ohne Barabfindungsangebot. Die Tendenz im Börsenjahr 2014 untermauert die Befürchtungen der SdK: 25 Firmen beantragten ein vollständiges Delisting, das bis Mitte Dezember bereits von 13 Gesellschaften vollzogen wurde. 23 weitere Unternehmen vollzogen den Wechsel vom Regulierten Markt in den Freiverkehr, bei acht weiteren wird dieser Schritt noch bis zum Jahresende oder dann 2015 erfolgen.
Zwar haben einige Teilbereiche des Freiverkehrs wie der Entry Standard oder das Segment m:access an der Börse München höhere Transparenzstandards zum Schutz der Anleger. Dazu zählen etwa die Ad-hoc-Pflicht und die Vorlage von Zwischenberichten. Tatsache aber bleibt, dass sich die meisten Betrugsfälle im Freiverkehr abspielen. Die SdK hält daher die Einschätzung der Gerichte, die von einer gleichwertigen Transparenz in den Premiumsegmenten des Freiverkehrs mit dem Regulierten Markt ausgehen, für nicht nachvollziehbar. Als einzigen Lichtblick in der aktuellen Diskussion sieht sie die überarbeitete Regulierung des Marktmissbrauchsrechts (Market Abuse Regulation, MAR). Diese sieht vor, dass auch für im Freiverkehr gelistete Unternehmen spätestens 2016 zur Veröffentlichung von Ad-Hoc-Meldungen sowie von Wertpapiergeschäften des Managements (Director’s Dealings) verpflichtet werden … wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind.
Großbanken kommen mit Bußgeldern glimpflich davon
Devisenskandale wie die Manipulation des Londoner Referenzzinssatzes LIBOR und dubiose Hypothekengeschäfte waren nur die Spitze der rechtswidrigen Transaktionen, die im Zuge der Finanzkrise ans Licht kamen. Um gegenüber der Öffentlichkeit die Bereitschaft zu hartem Durchgreifen zu demonstrieren, wurden in den vergangenen Jahren vor allem in den USA Bußgelder in Milliardenhöhe gegenüber zahlreichen Geldhäusern beschlossen. Mit 16,7 Mrd. US-Dollar stellte die Bank of America in diesem Jahr einen traurigen neuen Rekord auf. Diese Strafe wurde verhängt, weil die Bank vor dem Aufkommen der Subprime-Krise im Jahr 2007 falsche Angaben zum Risiko von Hypothekenkrediten gemacht hatte, die sie verbriefte und weiterverkaufte.
Die Bereitschaft, aus den kriminellen Machenschaften spürbare Konsequenzen im Sinne von mehr Anlegerschutz zu ziehen, ist aber noch nicht zu erkennen. Zwar wurden im Zuge der Aufarbeitung der Hypothekenkrise bislang mehr als 100 Mrd. US-Dollar an Strafzahlungen verhängt. Dabei handelt es sich jedoch um „freiwillige“ Zahlungen, auf die man sich außergerichtlich einigte, um es nicht zu Prozessen kommen zu lassen. Angesichts der Tatsache, dass die Subprime-Papiere die weltweit schlimmste Rezession seit 80 Jahren auslösten, mutet dieses Summe wie ein Tropfen auf den heißen Stein an. Darüber hinaus werden die Aktionäre, wie etwa im Fall von Deutscher Bank und BNP Paribas, über Kapitalerhöhungen oder die Begebung von Wandelanleihen an der Begleichung der Milliardenstrafen beteiligt.
China-Listings: Saures Ende statt süße Gewinne
Angesichts der Gewinnwarnungen, Insolvenzen, Fällen von unklarer Bilanzierung sowie der ungenügenden Transparenz im Hinblick auf Anlegerinformationen bekräftigt die SdK ihre Warnung vom Vorjahr vor unüberlegten Investments in die mehr als 20 chinesischen Firmen, die zurzeit an deutschen Börsensegmenten gelistet sind. Die sich häufenden Umsatz- und Gewinnwarnungen waren dabei noch das kleinere Übel. Bei der Modefirma KINGHERO war Vorstandschef Zhang Yu ganz abgetaucht, ehe im Januar Vorwürfe der Untreue bekannt wurden. Mit dem Vorstand des Schuhherstellers Ultrasonic, der im September das Weite suchte, verschwand ein Großteil der liquiden Mittel. Seit Juli nicht mehr auffindbar ist der Firmenchef der mittlerweile insolventen Youbisheng Green Paper AG. Ming Le Sports hatte bis Mitte Dezember noch keinen Jahresabschluss für 2013 vorgelegt, nachdem die Wirtschaftsprüfer keinen Nachweis für die Existenz der genannten Umsatzerlöse sowie der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen fanden. Ganz bizarr muten die Hauptversammlungen von Vancamel und Tintbright an. Dort erklärten sich die Großaktionäre „spontan“ bereit, auf Dividendenzahlungen zu verzichten. Nur die freien Aktionäre kamen so in den Genuss einer Ausschüttung.
Pulverfass Mittelstandsanleihen
Die weiterhin niedrigen Renditen für festverzinsliche Wertpapiere und Anleihen von Staaten und Unternehmen mit hoher Bonität verschafften Mittelstandsanleihen in den letzten Jahren großen Zulauf. Die Emittenten dieser Wertpapiere, darunter bekannte Unternehmen wie die Besitzgesellschaft des Traumschiffs aus der gleichnamigen Fernsehserie, lockten für Anlagen mit einem Zeithorizont von durchschnittlich etwa drei Jahren mit Zinssätzen zwischen 6 % und 9 %. Mittlerweile ist von Anlegerseite ein hoher einstelliger Milliardenbetrag in diese Anlageklasse geflossen. Der Risiken im operativen Geschäft sind sich die Investierten häufig nicht bewusst, entsprechende Passagen in den Wertpapierprospekten werden gerne über- oder erst gar nicht gelesen. Werden die von den Unternehmen propagierten Ziele dann im operativen Geschäft nicht umgesetzt oder erreicht, folgt immer häufiger das böse Erwachen. Die SdK warnt vor allem vor Unternehmen, die aufgrund ihrer hohen Verschuldung keine Kredite von den Banken mehr erhalten und deshalb Anleihen zu vermeintlich günstigen Konditionen, sprich hohen Zinssätzen, begeben.
Als abschreckende Beispiele analysiert das Schwarzbuch Börse 2014 unter anderem die Insolvenzen des Suppenherstellers Zamek und der MS Deutschland Beteiligungsgesellschaft mbH. In beiden laufenden Verfahren müssen die Anleger wohl einen Großteil ihrer Anlage komplett abschreiben. Auch die Vorgänge bei hkw Personalkonzepte GmbH und MBB Clean Energy AG werfen ein schlechtes Licht auf das Segment der sogenannten Mittelstandsanleihen.
Und wieder eine lange Liste an Einzelfällen
Ob Mitteldeutsche Fahrradwerke, StarDSL, 7Days, Hyrican oder SKW Stahl-Metallurgie Holding – im Schwarzbuch Börse 2014 finden sich wieder zahlreiche Unternehmen, die in unterschiedlichster Weise gegen Anlegerinteressen verstoßen haben. Die Vergehen reichen von intransparenter Geschäftsführung über Ermittlungen gegen Bilanzfälschung und Kursmanipulationen bis zu rechtlichen Auseinandersetzungen um Kapitalmaßnahmen, deren Nutznießer nur eine bestimmte Aktionärsgruppe sind.
Ein eigenes Schwarzbuch-Kapitel ist dem Börsenplatz Berlin gewidmet. Dort schlossen mit der Kofler Energies AG, der CD Deutsche Eigenheim AG, der Magix AG und der Solarpraxis AG gleich vier Firmen ihr Delisting ab. Auch die Filmgesellschaft Studie Babelsberg hat ihr Delisting angekündigt. Weitere unrühmliche Episode ist die Abwicklung des traditionsreichen Fernsehherstellers Loewe. Dessen letzte Hauptversammlung hatte im Juli 2013 am Gründungsstandort Berlin stattgefunden, ehe im Herbst 2013 das Insolvenzverfahren beantragt wurde. Die Meldung, dass eine Rettung bevorstehe, belebte Anfang 2014 nochmals den Aktienkurs. Dabei handelte es sich allerdings „nur“ um die Veräußerung der Vermögensteile. Den Aktionären droht dagegen einmal mehr ein Totalverlust.
Happy End bei PROKON?
Ein positives Beispiel, wie sich Anleger im Verbund mit Aktionärsschutz-vereinigungen bei einer drohenden Insolvenz erfolgreich für einen Neuanfang engagieren, ist die Auseinandersetzung um die PROKON Regenerative Energien GmbH. Bis zu 12 Mrd. Euro sollte das als „Grünes Sparbuch“ mit sechsprozentiger Verzinsung angepriesene Genussrecht nach der Vorstellungen von PROKON-Vorstand Carsten Rodbertus in den kommenden Jahren einsammeln. Warnungen von Finanzmedien und der SdK zum Trotz erfreute sich die Anlage bis Ende 2013 eines starken Zulaufs. Dabei hätte ein Blick in die Bilanz die offenkundige Schieflage offenbart. So belief sich die Bilanzsumme trotz des Volumens von 1,5 Mrd. Euro für die Genussrechte zum Jahresende 2013 auf gerade einmal 1,6 Mrd. Euro. Der nach dem Insolvenzantrag vom Januar 2014 eingesetzte Insolvenzverwalter deckte zahlreiche Ungereimtheiten wie Bilanzierungsmängel und fehlendes Controlling auf.
Dank der engen Zusammenarbeit u. a. zwischen den FvP, einem Zusammenschluss von 10 000 Genussrechtsinhabern sowie der SdK gelang es, den entlassenen Firmenchef Rodbertus und seine Unterstützer dauerhaft zu entmachten. So beschloss die Gläubigerversammlung 2014, dass die Inhaber der Genussrechte im Rahmen eines Insolvenzplans die Möglichkeit erhalten, sich an der sanierten PROKON zu beteiligen. Auf diese Weise sollen die Anteilseigner die Möglichkeit erhalten, ihre Verluste über mögliche Gewinnausschüttungen zu kompensieren.
Daniel Bauer, Vorstand der SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V., kommentierte die im Schwarzbuch Börse 2014 erläuterten Entwicklungen: „Wir beobachten mit Sorge, dass sich auch im Börsenjahr 2014 die Tendenz fortgesetzt hat, die rechtliche Stellung der Anleger gegenüber Unternehmen und Hauptaktionären abzuschwächen. Dieser Trend leistet der eingeschränkten Transparenz von Unternehmen im Hinblick auf ihre Informationspolitik gegenüber den Anlegern Vorschub. Besonders deutlich wurde das im Jahr 2014 bei Unternehmen, die nach der Ausgabe von Anleihen Insolvenz anmeldeten und bei denen Anleihegläubiger im Verbund mit der SdK jetzt um eine Entschädigung kämpfen. Diese Entwicklung ist umso problematischer in einem Marktumfeld mit Niedrigzinsen, in dem Sparer mangels Anlagealternativen wieder Aktien und höherverzinsliche Anleihen als Anlagevehikel entdecken.“
Das Schwarzbuch Börse kann hier heruntergeladen oder als Printexemplar bestellt werden.
München, 22.12.2014
Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V.
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